Hier geht’s zur Folge bei Spotify: Dr. Asmaa El Idrissi – Vielfaltsdimension „Religion und Weltanschauung“ vom Podcast „Selbstverständlich Vielfältig – Vielfalt an der Hochschule leben“
Claudia Huber:
„„Selbstverständlich vielfältig – Vielfalt an der Hochschule leben“: Der Podcast des Academic Career Centers der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, kurz DHBW. An der DHBW wollen wir Vielfalt nicht nur anerkennen, sondern aktiv leben. Um uns darin stetig zu verbessern, wollen wir dazulernen. Dazu tauschen wir uns mit Expertinnen und Experten zu den sieben Diversity-Kerndimensionen der Charta der Vielfalt aus.“
Claudia Huber:
„Heute sprechen wir mit Dr. Asmaa El Idrissi zur Vielfaltdimension Religion und Weltanschauung. Wir, das sind Paulina Fresow….“
Paulina Fresow:
„Hallo!“
Claudia Huber:
„…und Claudia Huber vom Academic Career Center der DHBW. Religion und Weltanschauung sind zentrale Themen im Bereich der Vielfalt, im Bereich der Gleichberechtigung und Inklusion. Verschiedene Glaubensrichtungen prägen die religiöse Diversität in Deutschland und es ist entscheidend, ein Umfeld zu schaffen, das diese Vielfalt respektiert.
Dabei spielt die Sichtbarkeit der Religionszugehörigkeit eine große Rolle, da unterschiedliche Glaubensgruppen auf unterschiedliche Weise Diskriminierung erfahren. Beispielsweise erleben Juden und Jüdinnen vermehrt Anfeindungen im Alltag, während muslimische Frauen mit Kopftuch oft bei der Jobsuche benachteiligt werden. Auch Weltanschauungen sind im Arbeitsleben durch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz AGG geschützt, wenn sie das gesamte Weltbild einer Person prägen. Arbeitgeber sollten daher auf religiöse und weltanschauliche Überzeugungen Rücksicht nehmen, da diese wichtige Aspekte der individuellen Identität sind. Wir freuen uns außerordentlich, heute im Gespräch mit Dr. Asmaa El Idrissi zu sein. Wie immer stellen wir Sie für unsere Zuhörenden vor. Sie sind Projektleiterin bei der Swans-Initiative, freiberufliche Diversity- und Antidiskriminierungsberaterin sowie eine engagierte Speakerin. Für diejenigen, die die Swans-Initiative noch nicht kennen: Swans, was auf Deutsch Schwäne bedeutet, ist eine gemeinnützige Organisation, die von einem überwiegend ehrenamtlichen Team getragen wird. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass im deutschsprachigen Raum aufgewachsene Studentinnen und junge Akademikerinnen mit Einwanderungsgeschichte, schwarze Frauen und Women of Color die beruflichen Chancen erhalten, die sie sich durch ihre Fähigkeiten und ihr Engagement verdient haben.
Wer weitere Informationen haben möchte, der findet diese in den Shownotes. Zusätzlich sind Sie, Frau El Idrissi, Fachbeirätin bei Wir für Vielfalt. Zuvor waren Sie als Referentin für Antidiskriminierung und Diversität in der Stadt Bochum tätig und übernahmen während der Attentate in Hanau und Halle sowie dem Mord an George Floyd die Leitung des hessenweiten Antidiskriminierungsnetzwerks ADiBe. Ihre akademische Basis als Verfassungsrechtlerin und Ihre umfassende Auseinandersetzung mit dem juristischen Umgang mit religiöser Fremdheit unterstreichen Ihre Expertise und Ihr Engagement. Als wir auf Frau El Idrissi über Social Media aufmerksam wurden, war uns sofort klar, wie ernsthaft und wie durchdringend Ihr Engagement für Gerechtigkeit und Diversity ist. Diese Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch all Ihre Beiträge und spiegeln sich in Ihrem gesamten Wirken wider.“
Liebe Frau El Idrissi, wir freuen uns sehr, Sie heute bei uns in unserem Podcast begrüßen zu dürfen. Schön, dass Sie heute bei uns sind.
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Vielen lieben Dank, dass ich heute da sein darf.“
Claudia Huber:
„Habe ich irgendwas vergessen in der Aufzählung?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Nein.“
Claudia Huber:
„Okay.“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Im Großen und Ganzen ist das alles gewesen, genau.“
Claudia Huber:
„Super. Wir fangen mit einer Aufwärmfrage an und zwar, möchten Sie lieber Süßes oder Salziges essen?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Immer Salziges.“
Claudia Huber:
„Immer salziges. Wunderbar. Dann steigen wir, wenn wir jetzt schon aufgewärmt sind, mit den inhaltlichen Fragen ein. In all Ihren Sozialen Medien-Beiträgen wird deutlich, dass das Thema Gerechtigkeit für Sie eine zentrale Rolle spielt und ein roter Faden ist. Woher stammt denn Ihr persönlich ausgeprägtes Bewusstsein für Gerechtigkeit?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Eine gute Frage. Ich würde mit einem Wort oder zwei antworten: meiner Biografie. Es ist tatsächlich so, dass ich über meine Betroffenen-Perspektive zu meiner Fachexpertise kam.
Meine jüngsten Rassismuserfahrungen und ausgrenzende Sprache lassen sich rückführen bis auf mein Kindertagesstättenalter. Tatsächlich. Auch seitdem kann ich mich an Sachen erinnern. Rassismus macht etwas mit dem Menschen. Im weiteren Verlauf meines Lebens habe ich Ausschluss und Nicht-Teilhabe erlebt in der Schule, bereits in der vierten Klasse. Keine Weiterempfehlung fürs Gymnasium, da fing es schon an. Ich kenne niemanden mit Migrationsgeschichte, mit Einwanderungsgeschichte, der je eine Gymnasialempfehlung hatte. Und ganz, ganz viele Menschen genau mit diesem Schicksal sind heute Anwält*innen, Ärzt*innen, Ingenieur*innen, wie auch immer,
haben sie es trotzdem, und ich wiederhole: trotzdem, geschafft. Deswegen Ungerechtigkeit ist Teil der Lebensrealität von rassifizierten Menschen in diesem Land. Und ich habe früh genug gesehen, dass eben nicht nur Diversity-Dimensionen wie Race oder Religion eine Rolle spielen, sondern auch aufgrund des Geschlechts, aufgrund des Alters, aufgrund von Behinderungen bzw. Besonderheiten, aufgrund von so vielen Diversity-Merkmalen, soziale Herkunft, ganz, ganz wichtig, die mich zu einem sehr intersektionalen Verständnis von Diversity, aber auch Gerechtigkeit gebracht haben.“
Claudia Huber:
„Was auch dann verständlich ist, dass dieses Thema so authentisch rübergebracht wird von Ihnen. Bevor wir jetzt an den Hochschulalltag gehen, den wir besprechen möchten, ist uns aufgefallen: Bei Swans setzen Sie sich ja gezielt für Frauen mit Einwanderungsgeschichte ein. Erleben Frauen mit Migrationshintergrund oder mit Migrationsgeschichte andere Diskriminierung als Männer mit Migrationsgeschichte?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Ja, ganz sicher andere. Und das ist tatsächlich eine von der Konstellation der Diversity-Dimensionen abhängige Frage. Ein schwarzer Mann wird sehr viel mehr Diskriminierung erleben wie eine whitepassing Person mit Einwanderungsgeschichte. Eine Frau of Color wird weniger Diskriminierung erleben als eine schwarze Hijabi. Also es ist innerhalb der Diversitätsdimensionen noch einmal abhängig davon, wie sehr ist man als „anders“ markiert oder wie hoch ist die Chance als „anders“ markiert zu werden. Und tatsächlich, es scheint super simpel, ist dann die Frage davon abhängig, was für Auswirkungen man hat.“
Claudia Huber:
„Das ist natürlich sehr gut erklärt. Können Sie für die Zuhörenden, die das vielleicht noch nicht gehört haben, erklären, was eine Hijabi ist?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Ja, das ist eine Frau mit Kopftuch, sagt man.“
Claudia Huber:
„Wir sprechen ja heute über die Diversitätsdimension Religion und Weltanschauung. Welche spezifischen Hürden erleben Mitarbeitende und Studierende in der Wissenschaft aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen bzw. ihrer Weltanschauung?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Naja, ich kann noch einmal aus einer breit angelegteren Perspektive drauf schauen. Wir haben zumindest tatsächlich aus den USA wieder Studien, die klar nachweisen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte, überhaupt Black Indigenous People of Color, Menschen, die rassifiziert sind oder als anders markiert wahrgenommen werden, dass die sehr viel weniger Teilhabe an der Wissenschaft haben. Weniger Förderung bekommen. Dass ihre wissenschaftlichen Arbeiten sehr viel weniger Beachtung finden. Dass weiße Deutungshoheiten und weiße Wissenschaftsmonopole immer noch definitiv vorherrschend sind. Und innerhalb dieses Problems, dieser Herausforderungen glaube ich schon, dass je nachdem in welchem Bereich man ist, Religion noch einmal das Ganze verschlimmert, um es klar zu sagen. Also ich weiß aus dem Corporate Bereich, ich weiß aus den Claim-Allianzzahlen und so weiter, dass zum einen auf der einen Seite Lebensrealität, die Zahlen von antimuslimischem Rassismus explodieren derzeit. Also spätestens seit dem 7. Oktober gibt es eine tatsächlich sehr große Zensur in Bezug auf wie Gewalt ausgeübt wird, in Bezug auf muslimische, aber auch jüdische Menschen. Und auf der anderen Seite sehe ich aber, dass die Diversity-Dimension der Religion sehr, sehr wenig bis gar keine Beachtung findet im Diversity Management von Unternehmen. Ja, Universitäten sind da nicht viel anders. Ich vermute und ich habe dazu keine Zahlen. Ich vermute, dass religiös markierte Menschen in der Wissenschaft an Hochschulen zusätzliche Hürden erleiden.“
Claudia Huber:
„Das ist eine spannende These, die auch jetzt unsere anschließende Frage einleitet. Und zwar hebt die die Diskussion nochmal ein bisschen auf die Metaebene. Zu konkreten Maßnahmen möchten wir dann noch gerne später kommen, aber ich möchte hier noch kurz auf der Metaebene bleiben. Auch wenn Weltanschauungen oft unsichtbar und sehr persönlich sind, prägen sie doch auch jedes Individuum für sich. Auf der anderen Seite leben wir ja in Deutschland in einem säkularisierten Land. Wie kann Hochschule dann sensibler dafür werden und interreligiösen Dialog eventuell sogar auch fördern, ohne die Säkularität zu ignorieren?
Sehen wir hier eigentlich einen Widerspruch oder gibt es da vielleicht sogar gar keinen? Das haben wir uns auch in der Vorbereitung auf diese Folge gefragt.“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Meine persönliche rechtliche Einschätzung des Ganzen ist, ich sage es klar, sollte es keine geben. Weil auf der einen Seite, also allein der Begriff der Säkularität ist sehr, sehr widersprüchig in sich. Wenn man die Bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung betrachtet, wenn man den öffentlichen Diskurs über Deutschland betrachtet, dann fällt immer wieder aber auch der Begriff christlich-abendländisch geprägtes Deutschland, christlich-abendländisch geprägte Traditionen, Kulturgüter und so weiter. Also Deutschland war nie durch und durch säkular. Das sehen wir auch an den inkorporierten Weimarer Reichsartikel, die Teil des Grundgesetzes sind, die norma-christliche Kirchen, eigentlich aber auch andere Religionsgemeinschaften besondere Zuständigkeiten, Rechte, Stati garantieren sollen. Also insofern, wir haben keine Säkularität im Sinne einer Laizität, wie sie zum Beispiel in Frankreich gelebt wird. Wir hatten immer eigentlich eine sehr grundrechtsfreundliche und religionsoffene Rechtsprechung und Verfassungsdogmatik.
Das scheint allerdings große Einschnitte erlangt zu haben, als es dann eben um andere Religionsgemeinschaften ging als die der christlichen Religion.
Und da vertrete ich zumindest die Ansicht, jeder Mensch sollte von seinem Recht auf Religionsfreiheit Gebrauch machen können, ohne dass diesem Menschen dabei unterstellt wird, nicht mehr neutral zu sein oder sonst irgendwie stereotypisierende Überstolpungen zu erdulden oder zu erleiden zu müssen.“
Claudia Huber:
„Das kann ich gut nachvollziehen. Das schließt auch ein bisschen an, dass ja immer wieder auch diese, in Anführungszeichen „Kopftuchdiskussion“ losgetreten wird. Und ich frag mich, warum entbrennt dieses Thema immer wieder? Warum entbrennt das immer wieder am Hijab oder an genau diesem Merkmal eigentlich? Worüber wird da eigentlich in Wahrheit diskutiert?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Aus psychologischer Sicht, ohne Psychologe zu sein, geht es da tatsächlich um existenzielle Fragen des eigenen Selbstverständnisses staatlicher Seite. Wer bin ich als Staat? Wer kann ich sein? Wer will ich gar nicht sein? Worunter will ich fallen? Worunter nicht? Mit was identifiziere ich mich? Mit was nicht? Das sind die Fragen, die ganz, ganz zentral sind bei dieser Kopftuchdebatte. Und ja, darum ging es im Großen und Ganzen in meiner Doktorarbeit. Da analysierte ich eben die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung von den Mitte 70er Jahren, mit dem Schulgebet-Urteil, wo es die Frage ging, darf ein unter anderem staatlich installiertes oder zu diesem motivierendes Schulgebet stattfinden. Da ging es um das christliche Schulgebet. Das war mein erstes Urteil bis hin zu zum Kruzifix-Urteil, bis hin aber zu Bahai-Entscheidung und den zwei Kopftuchentscheidungen 2003 und 2015. Und da versagt verfassungsdogmatisch eigentlich einwandfreie, saubere Argumentation, weil man dann eben in das Dilemma kommt, wie können wir uns als säkularen Staat verstehen, wenn Menschen für den Staat tätig werden, die eben nicht so aussehen wie wir, die nicht weiß sind, die nicht die gleiche Religion haben. Wie ist es dann mit unserem grundrechtlichen Verständnis, das eigentlich immer extensiv und grundrechtsfreundlich war. Und da habe ich zumindest als Analyse meiner Arbeit, bin ich zum Schluss gekommen, dass da die Restriktionen und der restriktive Gebrauch und das Verständnis von Religionsfreiheit ja in Gang gekommen ist.“
Claudia Huber:
„Ich würde jetzt gerne die Metaebene verlassen und nochmal den Bereich der Hochschulen angucken. Denn wie wir immer wieder sehen in unseren Interviews, zeigt sich, dass wenn in der akademisierten Welt mehr Repräsentation da ist, verändern sich auch die Weltbilder. Und deswegen ist meine nächste Frage an Sie: Welche Maßnahmen können ergriffen werden, religiöse Diskriminierung auf dem Weg zur Professur zu verhindern?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Naja, also das würde ja voraussetzen, dass wir wissen, dass religiöse Zugehörigkeit allein ein Hinderungsgrund für Professuren sind. Ich würde da noch mal einen Schritt zurückgehen und aus intersektionaler Perspektive fragen: was müsste es für fairere, gerechtere Teilhabechancen und Einstellungsvoraussetzungen und Berufungen geben, die gewährleisten, dass die Professor*innenschaft diverser wird? Ich denke nicht, dass wir gut damit fahren, Fokus auf eine Diversity-Dimension zu setzen, sondern wir sollten eher die Diskussion darüber stattfinden lassen, wie intersektional Diversity-Management gut und tief verankert werden kann in Strukturen, unter anderem auch eben für Universitäten.“
Claudia Huber:
„Das ist definitiv ein richtiger Faktor. Wenn wir jetzt aber nochmal überlegen, dass gerade sichtbare Merkmale durchaus auch dazu führen, dass Studierende möglicherweise gar nicht so richtig gefördert werden oder wenn, ich mache jetzt mal ein Szenario auf: Es bewirbt sich eine muslimische Frau, die tatsächlich Kopftuch auch trägt, bei einer Universität und möchte eine Professur haben. Und was sind da Maßnahmen? Was können wir tun? Was kann Hochschule tun, dass diese Frau, die voll akademisiert ist, die ihre Promotion hat, die alle Voraussetzungen hat, dass die genauso ihre Chancen bekommt, wie jeder andere, bzw. dass sie überhaupt die Chance bekommt, genau an diese Position zu kommen.“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Also um das wirklich adäquat beantworten zu können, müsste ich das Berufungsverfahren en Detail kennen. Aber was generell für bessere Teilhabe und Chancengerechtigkeit ginge, ist, dass man als Hochschule eine Anti-Diskriminierungsrichtlinie erlässt und in dieser Richtlinie genau festlegt, dass insbesondere auch, ich meine, das sind Fördermaßnahmen, über die man diskutieren kann, dass Menschen aus marginalisierten Gruppen und eben auch religiöse Menschen bevorzugt berücksichtigt bei gleicher Qualifikation, dass man Quotenregelungen einführt. Das hat man im Frauenbereich ja ohnehin. Ich weiß, dass wir da noch mal rechtliche Regelungen bräuchten, um das auch festzumachen für andere marginalisierte Gruppen. Aber Hochschulen müssten sich klar positionieren und auch Regelungen für sich erlassen, die sie selbst verpflichten, einfach diverser zu besetzen. Und dann wäre für mich ein gangbarer Weg eine Diversity-Equity-Inclusion-Richtlinie oder eine Antidiskriminierungsrichtlinie. Und dann eben auch neue Verfahren, inklusivere Verfahren, transparentere Verfahren, wobei Berufungsverfahren sind in der Regel relativ transparent, aber dann eben diskriminierungssensiblere und inklusivere Verfahren für sich selbst als Verbindlichkeit festzulegen.
Um so eben genau diesen Anteil von marginalisierten Gruppen zu erhöhen. Und vielleicht noch vor der Professur, dass man eben wirklich Förderungsprogramme für marginalisierte Menschen sich ausdenkt, verstärkte Trainee-Programme zwischen Unternehmen und Universitäten konzipiert, wo wirklich marginalisierte Menschen bevorzugt berücksichtigt werden.
Weil Talentprogramme zum Beispiel. Also ich war für einen Arbeitgeber tätig, da hab ich mir den Talentpool angeschaut. Es waren 90 Prozent junge, weiße, blonde Menschen. Das heißt, auch da geht es ganz, ganz viel darum, dass man Regelungen und Verfahren findet, die tatsächlich dazu führen, dass es diverser wird. Und zwar nicht erst bei der Professur, sondern auch bei Besetzungen von Lehrstühlen, bei wissenschaftlichen Mitarbeitenden, bei Tutor*innen. Also da gibt es so viel, wo man ansetzen kann und wo sich die Hochschule selbst zu ganz viel verpflichtet fühlen kann, wenn sie es denn will.“
Claudia Huber:
„Ist denn die Hochschule in Ihren Augen der richtige Rahmen, auch Religion und Weltanschauung zu thematisieren?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Ja, wenn nicht in der Hochschule, wo dann, würde ich mich dann fragen. Jede Diversity Dimension gehört auf den Tisch gelegt und gehört diskutiert und geforscht. Und ich glaube, in der Hochschule hat man noch einmal, Stichwort weiße Deutungshoheit, auch in der Wissenschaft, hat man noch einmal ganz andere Zugänge und Möglichkeiten, Narrativen, Perspektiven, unglaublich viel Innovatives von rassifizierten Wissenschaftler*innen zu lernen. Und deswegen meine ich, sind die
Verfahren noch mal an Hochschulen unglaublich wichtig, weil dieses Wissen im besten Fall schwappt es in die Praxis über, in die Lebensrealität von ganz, ganz vielen Menschen. Die Geburtsstätte von Diskursen. Ich komme aus Frankfurt am Main, habe dort studiert, bin mit dem Mindshifting von der Frankfurter Schule aufgewachsen. Wo man eben kritisch auf Sachen guckt, wo man sich kritisch mit Sachen auseinandersetzt, wo man eben – zumindest aus meiner Sicht, ich weiß, da gibt es einen riesigen Streit darüber – dass man da nicht auf irgendwelchen Türmen sitzt und elitär Sachen diskutiert, sondern dass man Sachen auch nahbar macht, gesellschaftskritisch macht. Ich glaube, all das gehört und sollte an eine Hochschule.“
Claudia:
„Wenn Sie die SWANS Initiative angucken, da sind Sie ja auch mit genau dieser Zielgruppe, den jungen Studentinnen mit Migrationserfahrung zusammen. Hören Sie von diesen jungen Frauen, dass sie sich benachteiligt fühlen?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Ja, absolut. Also absolut. Es ist die gemeinsame Erfahrung, die Kollektiverfahrung, die wir alle haben. Also ich habe da ein sehr glückliches Ausnahmeerlebnis gehabt mit meinem Professor, der an meine Fähigkeiten geglaubt hat, der mich gepusht hat, der mich eingestellt hat, der mich dann zur Promotion bewegt hat.
Also das sind alles Sachen, die er für mich geöffnet hat. Ich weiß, dass nicht jeder Professor, jede Professorin so ist. Und ich weiß, dass da auch auf jeden Fall Leute zurückgehalten werden, dass die extra nicht eingestellt werden. Alleine in meiner Person. Ich kannte keine andere, aber von so 500 Studenten im ersten Semester, ich meine, ich habe im dritten Semester den Hijab angefangen zu tragen, war ich die Einzige.
Am Lehrstuhl war ich die Einzige für das, ich meine sogar an der ganzen rechtswissenschaftlichen Fakultät war ich die einzige Hijabi. Und klar hat meine Lebensrealität noch einmal Einfluss gehabt, auch auf die Forschung meines Professors. Also ich lehne mich jetzt sehr weit aus dem Fenster, aber ich habe von ihm ganz, ganz viel gelernt und ich meine, er hat von mir auch einige kleine Geschichten gelernt. Und das wirkt sich auf Forschung und Lehre aus.“
Claudia Huber:
„Da stecken ganz viele Punkte drin, die ich vielleicht sogar nochmal aufgreifen möchte. Zusammengefasst könnte man sagen, Ihr Weg ging deswegen auch so in Anführungszeichen „glatt“. Ich möchte das alles nicht verharmlosen, was Sie im Alltag alles erleben und erlebt haben. Aber Sie hatten halt einen Menschen, der Sie dann auch in der akademischen Entwicklung gefördert hat. Sprich zusammengefasst, lässt sich sagen, dass Professor*innen ihre eigenen Blickwinkel eher auf das, was kann die Person, wie kann ich meine Studierenden kennenlernen, wie kann ich sie dann auch fördern, richten sollten und nicht sich ablenken lassen sollten von Äußerlichkeiten, die vielleicht eben zuerst ins Auge springen.“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Genau, also absolut kann ich genauso unterschreiben, weil es war eine sehr, sehr lange Zeit in meinem Leben ganz anders. Keine Gymnasialempfehlung, keine Förderung innerhalb der Schule. Mir wurde auch gesagt, dass ich eh in der 9. Klasse auf der B-Ebene landen würde. Das ist ein Ort in Frankfurt, wo größtenteils rassifizierte Menschen aus dem Maghreb-Gebiet Drogen verkaufen. Also es sah auch mal eine sehr, sehr lange Zeit sehr anders aus. Und alleine, und das will ich noch mal sagen, ich bin nicht gerade da, weil ich hart genug gearbeitet habe.
Ich kenne ganz, ganz viele Menschen, die genauso hart mindestens gearbeitet haben, aber wo ganz viele Faktoren einfach nicht zusammengekommen sind. Und ja, mein Professor hat mir viele Wege bereitet. Aber auch nach meiner Lehrstuhlerfahrung hatte ich unglaublich viel Rassismus erlebt. Und man kann, also man darf auch nicht denken, dass wenn man jetzt irgendwie Akademikerin of Color ist, hochqualifiziert ist, dass es dann sich ändert.
Also das Gegenteil ist der Fall. Das wissen wir aus Zahlen. Wenn man einen ausländischen Namen trägt, bewirbt man sich bis zu dreimal mehr. Trägt man ein Kopftuch bis zu fünfmal mehr. Ist man dann auch noch hochqualifizierte Hijabi, dann bis zu siebenmal mehr. Also ich musste meine Heimatstadt als promovierte Juristin und eigentlich nur Bestnoten verlassen, um nach Bochum zu ziehen, weil ich nach 120 Bewerbungen erst Erfolg hatte. Und es ist so, tatsächlich, würde ich irgendwo in einer Bäckerei Brötchen verkaufen gehen wollen, wäre meine Chance sehr, sehr viel höher, einen Job zu erhalten. Das heißt, innerhalb und ab der akademischen Welt sieht es noch einmal ganz anders aus mit Diskriminierung. Und zwar, es ist verschärfter und es wird nicht besser.“
Claudia Huber:
„Das würde ja auch dann dafür sprechen, dass wir auch das Thema Lehre und das Thema Sensibilisierung in der Lehre auch mit aufgreifen. Also wie können Hochschulen Studierende und Mitarbeitende für die Themen Religion und Weltanschauung auch sensibilisieren und damit auch Vorurteile abbauen? Ich denke da konkret an sowas wie Schulungen zur Sensibilisierung. Ist es in Ihren Augen sinnvoll oder ist es nicht viel mehr so, dass dann nur noch diejenigen an den Schulungen teilnehmen, die sich bereits mit der Thematik beschäftigen? Also wie sehen Sie das?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Ja, das ist ein schwieriger Punkt mit den Schulungen. Ich halte Schulungen bedingt für sinnvoll. Ich halte sehr viel strukturellere Maßnahmen für effektiver. Klar, bringt das bei dem einen oder anderen Menschen, der gerade an einer Hochschule lehrt, etwas, wenn man ihn sensibilisiert. Andererseits glaube ich, man erreicht sehr, sehr viel mehr, wenn Hochschulleitungen sagen, okay, wir wollen jetzt das komplette Game neu gestalten. Wir wollen Verfahren, die inklusiver sind. Wir nehmen uns bis 2030 vor, den BIPOC-Anteil von Wissenschaftler*innen zu erhöhen. Wir wollen, dass zum Beispiel Professoren, und das ist natürlich, ich weiß, ein möglicher Konflikt mit Lehr- und Wissenschaftsfreiheit, dass man verpflichtende Veranstaltungen auch macht für Professuren, insbesondere für diejenigen, die gerade eine Professur anstreben. Also das sind alles Sachen, mit denen man arbeiten kann. Auf der anderen Seite wünsche ich mir natürlich auch, wie Sie das jetzt mit Ihrer Einrichtung machen, mit Ihrer Institution, dass man sehr, sehr viel verstärkter mit Unternehmen zusammenarbeitet und zwar während des Studiums. Und das Unternehmen dann, also dass man dieses Programm als Diversitätsprogramm konzipiert, das heißt von vornherein klar ist, mit diesem Programm und dieser Zusammenarbeit werden wir und wollen wir Leute rekrutieren, die of Color sind, die eine andere sexuelle Orientierung haben, die Behinderungen aufweisen. Also genau diese Leute wollen wir verstärkt rekrutieren. Und dann eben genau diese Programme perzipieren. Ich glaube, das sind viel effektivere, gangbarere Wege. Eine Freundin aus Wien hatte mir gesagt, und das fand ich total interessant, dass – und ich weiß nicht, ob das jetzt für alle gilt, aber an ihrer Hochschule, an ihrer Universität war das so – dass Gender Studies und
Diskriminierungssensibilität Pflichtveranstaltungen waren. Für jeden Menschen, der sich an einer Hochschule bewirbt und immatrikuliert ist, der sollte genau diesen Kurs im ersten Semester schon besuchen. Und ich denke, das ist eine wirklich strukturell wirkende Maßnahme, dass man von Anfang an, vom ersten Semester, Menschen darauf ausrichtet, diskriminierungssensibel, rassismuskritisch, machtkritisch zu denken. Weil der Ort der Hochschule, das ist der Ort eigentlich machtkritischen Denkens.“
Claudia Huber:
„Das ist eigentlich ein sehr guter Einwand, wobei wir auch immer wieder merken, dass gerade Hochschulen auch Orte absoluter Macht sind. Das ist halt irgendwie so die Diskrepanz und ich glaube auch eine gewisse Form von Machtsensibilisierung wäre mittlerweile strukturell auch angebracht.
Wie könnten denn gesetzliche Vorgaben so gestaltet werden, dass Diversity in den Hochschulen stärker gelebt wird? Also kann man das überhaupt? Gibt es eine Möglichkeit, das zu tun?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Klar gibt es da Möglichkeiten. Als positives Beispiel fällt mir da die Ruhr-Universität Bochum ein. Die hat eine Antidiskriminierungsrichtlinie auf den Weg gebracht. Die sehr deutliche, klar umrissene, aus einer Macht kritischen Perspektive heraus formulierte Richtlinien haben, Verfahren haben. Ich würde sagen, das ist die beste und wirkungsvollste Richtlinie, die ich je für eine Hochschule gelesen habe. Und das könnte man tatsächlich auch andenken für weitere Hochschulen. Und da wünschte ich mir eigentlich, dass Hochschulen, Universitäten sehr viel enger zusammenarbeiten und sich gegenseitig abschauen, was gut läuft, best practices entwickeln. Das hatten wir, der genaue Name fällt mir nicht ein, das war, ich meine, eine deutschlandweite Initiative in einer Art von Aneinanderreihung von Konferenzen und Workshops und wie auch immer, wo Synergien entstanden sind zwischen und tatsächlich nicht nur Hochschulen, sondern zwischen Kommunalverwaltungen, Hochschulen und Gesellschaft, Zivilgesellschaft.
Und da sind unglaublich gute Projekte entstanden. Ich meine, das ist ein Ansatz, dass Hochschulen viel mehr noch einmal in das Networking kommen. Mit staatlichen Akteurinnen, mit Kommunalverwaltungen, mit Landesvertretungen, mit Politik, mit Medien. Also da ist so, so viel mehr zu reißen, um da gemeinsam strategisch und holistisch vor allen Dingen Diversity-Initiativen, Programme, Verfahren zu entwickeln.
Das zum einen und zum anderen Diversity lebt nicht ohne mein Verständnis nach, ohne Antidiskriminierungsrecht. Und trotzdem haben sehr viele Hochschulen, wenn überhaupt, sehr schlecht funktionierende antidiskriminierungsrechtliche Beschwerdeverfahren. Und da wünsche ich mir sehr viel mehr Schritte, sehr viel effektivere Schritte bei Diskriminierungsfällen sowohl von Studierenden als auch von Bediensteten der Universität. Dass man da Verfahren implementiert, die klar signalisieren, wir sind gegen Diskriminierung und wir sind diskriminierungskritisch und wenn euch was passiert, habt ihr die und die Rechte. Und ich weiß dafür gibt es noch keine verpflichtende Grundlage, weil das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eben genau diesen Hochschulbereich ausnimmt und deswegen der komplette Bildungsbereich rausfällt, außer jetzt in Berlin, da haben wir ein Landesantidiskriminierungsgesetz, aber uns bleibt immer noch die Möglichkeit zu sagen, okay, wir entscheiden trotzdem uns für mehr Diskriminierungsschutz. Aber das muss ich dazu sagen, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, also das AGG, gilt zwischen Bediensteten. Da greift wieder Diskriminierungsschutz ein, aber eben nicht für Studierende.“
Claudia Huber:
„Und kann man diese Richtlinie der Ruhr-Universität auch einsehen? Ist das öffentlich?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Also ich habe mit Michalina Trompeta in meiner Arbeit als Referentin für Antidiskriminierung und Diversität zusammengearbeitet und ich bin mir nicht sicher, aber es müsste, also Antidiskriminierungsrichtlinien müssen sowieso öffentlich bekannt gemacht werden. Deswegen glaube ich schon, dass sie leicht zugänglich ist und einsehbar ist.“
Claudia Huber:
„Ja, gut. Weil dann könnten vielleicht Hörende, die an Hochschulen sind und sich damit auseinandersetzen, durchaus auch mal dort einen Besuch abstatten und sich das mal durchlesen. Warum wurde das AGG im Rahmen der Hochschule ausgenommen?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Ja, also das AGG ist ein Bundesgesetz und Bildung ist aber Landessache und deswegen braucht es für den Bildungsbereich noch einmal zusätzliche landesgesetzliche Regelungen. Deswegen und neben vielen anderen Gründen bräuchte es noch einmal ein Landesantidiskriminierungsgesetz.“
Claudia Huber:
„Eine Frage zum Schluss. Was ist denn Ihre persönliche Vision für eine vielfältige und inklusive Hochschule der Zukunft?“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Meine Vision ist eine gerechtere, vor allen Dingen chancengerechtere, mehr teilhaberermöglichende, kompetenzorientierte Arbeitswelt im Allgemeinen, aber auch an den Hochschulen. Meine Vision ist eine diverse Besetzung, diverse Teilhabe, ganz viele Perspektiven. Reichtum, den man dadurch erlangt. Ergänzungen von wissenschaftlichen Narrativen oder Narrativen innerhalb der Wissenschaft zu bestimmten Themen durch eben rassifizierte Perspektiven oder anders wie geartete marginalisierte Perspektiven. Ich glaube, das kann ganz, ganz viel Gutes für die Gesellschaft im Allgemeinen bringen.“
Claudia Huber:
„Das hört sich auf jeden Fall nach einer deutlich entspannteren Zukunft an, als wir das im Moment haben. Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Zeit und für das Interview. Es war sehr informativ und interessant und wünsche Ihnen auf jeden Fall alles Gute bei Ihrem weiteren Tun.“
Dr. Asmaa El Idrissi:
„Ja, alles Gute auch Ihnen und Ihrer Arbeit.“
Claudia Huber:
„Danke.“
Paulina Fresow:
„Das war unsere heutige Folge. Wir hoffen, sie hat euch genauso inspiriert wie uns. Was denkt ihr denn darüber? Teilt eure Gedanken und Feedback mit uns. Wir sind gespannt darauf. Schreibt uns gerne einen Kommentar hier auf Spotify. Wenn ihr mehr von uns hören wollt, vergesst nicht, den Podcast zu abonnieren, damit ihr keine Episode verpasst. Erzählt auch gerne euren Freunden und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen, Professoren und Professorinnen von uns. Je mehr, desto besser. Lust auf mehr? Dann kommt zu unserem Afterwork-Event am 3. Dezember 2024 in Stuttgart. Wir reden über Diversity an der DHBW und freuen uns darauf, euch persönlich kennenzulernen. Alle Infos dazu findet ihr in den Shownotes.
Bis zur nächsten Folge, bleibt dran!“