Hier geht’s zur Folge bei Spotify: "Lisa Niendorf aka Frau Forschung - Vielfaltsdimension "Sexuelle Orientierung und Identität"" vom Podcast "Selbstverständlich Vielfältig - Vielfalt an der Hochschule leben"
Claudia Huber:
„Selbstverständlich vielfältig – Vielfalt an der Hochschule leben“: Der Podcast des Academic Career Centers der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, kurz DHBW. An der DHBW wollen wir Vielfalt nicht nur anerkennen, sondern aktiv leben. Um uns darin stetig zu verbessern, wollen wir dazulernen. Dazu tauschen wir uns mit Expertinnen und Experten zu den sieben Diversity-Kerndimensionen der Charta der Vielfalt aus.
Heute widmen wir uns dem spannenden Thema der sexuellen Orientierung und Identität. Diese Dimension zielt darauf ab, Chancengleichheit zu fördern und Diskriminierung abzubauen, insbesondere für queere Menschen. Queer umfasst dabei alle, deren geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung nicht zweigeschlechtlich, cisgeschlechtlich oder heterosexuell ist. Der Begriff ist bewusst unscharf gewählt und spiegelt das wachsende Bewusstsein für Identitätsvielfalt wider.
Eine offene Organisationskultur spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie ermöglicht es den Mitarbeitenden, ihre Persönlichkeiten zu zeigen. Für detaillierte Informationen, wie diese Dimension in der Charta der Vielfalt definiert ist, lohnt es sich, einfach mal auf die Website zu schauen. Zu diesem bewegenden Thema sind wir heute mit Lisa Niendorf, manchen vielleicht auch besser bekannt als Frau Forschung, im Gespräch.
Wir, das sind Paulina Fresow…“
Paulina Fresow:
„Hallo Lisa“
Lisa Niendorf:
„Hallo.“
Claudia Huber:
„… und Claudia Huber vom Academic Career Center der DHBW. Lisa, es ist toll, dass du heute bei uns bist.“
Lisa Niendorf:
„Ich freue mich sehr, hier zu sein. Das ist eine wirklich schöne Gelegenheit, dass wir über so ein tolles, spannendes Thema ins Gespräch kommen können
Claudia Huber:
„Freut uns auch. Aber bevor wir ins Gespräch einsteigen, möchte ich dich kurz für diejenigen vorstellen, die dich vielleicht noch nicht kennen.
Du arbeitest als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin im Bereich der Didaktik. Dein Fokus liegt auf der Lehrkräftebildung und der Entwicklung von praxisorientierten und forschungsbasierten Lehrmethoden. Du betont die Bedeutung von Forschung für die Unterrichtspraxis und argumentierst, dass Lehrkräfte nicht nur theoretisches Wissen vermitteln sollen, sondern auch ihre eigenen Forschungserfahrungen in den Unterricht einfließen lassen müssen. Neben deiner akademischen Arbeit bist du unter dem Pseudonym Frau Forschung in den sozialen Medien aktiv. Du schaffst es, wissenschaftliche Themen verständlich und unterhaltsam zu vermitteln und machst die Welt der Wissenschaft so für viele Menschen zugänglicher. Daneben machst du auf psychische Belastungen im Studium aufmerksam und brichst eine Lanze für mehr Achtsamkeit. In YouTube-Videos und Podcasts sprichst du über aktuelle Bildungsthemen und deine persönlichen Erfahrungen in der Wissenschaftskommunikation.
Besonders erwähnenswert ist dein Engagement für die Förderung von Diversität und Inklusion in der Wissenschaft. Du setzt dich aktiv dafür ein, Bildungsangebote inklusiver zu gestalten und die Bedürfnisse von LGBTQI+ Personen stärker zu berücksichtigen. Das zeigt sich unter anderem in deinem Engagement für die Unterstützung queerer Studierender.
Wir freuen uns also sehr, heute mit dir zu sprechen und mehr darüber zu erfahren, was Hochschule tun kann, um eine queerfreundlichere Arbeitsumgebung zu werden. Hab ich was vergessen in der Vorstellung?“
Lisa Niendorf:
„Das war umfassend und in meinem Kopf schwirrte es. Das fühlt sich immer so viel an, dass ich mir denke, ich kann das doch eigentlich alles gar nicht leisten, aber irgendwie scheint es doch ganz gut zu funktionieren. Nur ein Hinweis: ich bin nicht wissenschaftliche Mitarbeiterin, ich bin Lehrkraft für besondere Aufgaben. Das ist nochmal ein Unterschied. Ich bin nicht wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik. Das würde bedeuten, dass ich in der Mathematik Didaktik wissenschaftliche Mitarbeiterin wäre, sondern ich bin Lehrkraft für besondere Aufgaben und das sind Personen an der Universität, die nur für die Lehre angestellt sind. Das heißt, ich gebe nur Lehre und habe keinen wissenschaftlichen Anteil in meinem Stellenprofil enthalten. Normalerweise hat man immer ein bisschen Lehre und Forschung, dass man Forschungsprojekte dann betreut oder selber durchführt und umsetzt. Genau, und ich habe das nicht. Ich habe nur Lehre.“
Claudia Huber:
„Das ist total spannend. Vor allen Dingen ist es spannend, weil bei uns die Lehre an der DHBW einen viel stärkeren Stellenwert einnimmt als die Forschung. Und das ist ein ganz großer Unterschied zu den Universitäten. Dann – nachdem wir das richtiggestellt haben – lasst uns doch mal mit einer ganz wichtigen Frage starten, und zwar einer relativ privaten: Sommer oder Winter?“
Lisa Niendorf:
„Weder noch: Frühling. Ich bin kein Fan von extremen Temperaturen, sowohl kalt als auch warm nicht, und ich mag es mild. Also ich bin in meiner Höchstform bei 20 bis 22 Grad.“
Claudia Huber:
„Dein Fokus liegt ja aktuell auf Studierenden. Wie sieht es eigentlich bei den Professoren aus und bei den Professorinnen? Wo stehen wir da in diesem Bereich der Diversity und Inklusion, insbesondere wenn es ums Thema sexuelle Orientierung geht an deutschen Hochschulen? Wo stehen wir da in der Sichtbarkeit? Was bedeutet das? Also gibt es genügend repräsentativ viele Menschen in der Hochschullehre, die tatsächlich eine andere sexuelle Orientierung haben als der, ich nenn's jetzt mal „Mainstream“?“
Lisa Niendorf:
„Gute Frage. Also ich kenne Professor*innen auch in meinem näheren Umfeld, die entweder offen queer sind oder offen schwul, offen lesbisch, die vielleicht jetzt nicht viel mit dem Queerbegriff anfangen können, aber eben mit dem Begriff Homosexualität mehr umgehen. Es ist jetzt eher nur so ein Gefühl, weil man will ja niemanden outcallen und die Leute sollen sich outen, wann auch immer sie bereit sind, sich zu outen, aber ich habe schon das Gefühl, dass es an einigen Stellen oder an einigen Positionen auch deutlich mehr queere Professor*innen gibt, die es aber offen nicht kommunizieren. Aus welchen Gründen auch immer. Das steht überhaupt nicht zur Debatte und sollte auch niemals gewertet werden.
Nichtsdestotrotz haben wir einfach aufgrund der Strukturen, aufgrund der Heteronormativität, aufgrund des Patriarchats, aufgrund von vielen Stereotypen in allen Bereichen der Wissenschaft, auch bei den Studierenden, aber eben auch bei den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, den Promotionsstudierenden, aber dann auch später bei den Postdocs oder den Professor*innen zu wenig queere Personen. Im Vergleich dazu, wenn man sich anschaut, wie viele es hätten sein können. Aber viele trauen sich nicht, viele schaffen es nicht, nicht aufgrund von „ich schaffe es nicht, weil ich es nicht schaffe“, sondern „ich schaffe es nicht, weil die Systeme und die Strukturen, in denen ich mich bewege, es mir nicht ermöglichen, die Karriere weiterzugehen aufgrund von Diskriminierung, Gewalt, Machtmissbrauch etc“.
Weil es sind marginalisierte Gruppen und das heißt, die haben es deutlich schwerer als andere bei vergleichbarer Leistung.“
Claudia Huber:
Was sind denn da konkrete Herausforderungen? Weil das Thema ist, ich sag mal, die Normgesellschaft weiß es nicht. Die weiß nicht, welche Diskriminierung da dahinterstecken kann. Viele sagen ja auch, „ja, dann sag halt einfach nicht, welche sexuelle Orientierung du hast und geh halt einfach so durch“. Aber welche Herausforderungen in der akademischen Karriere haben denn Menschen, die sich dafür interessieren könnten und gute akademische Leistungen haben?
Lisa Niendorf:
„Ich hab da mal eine Umfrage gemacht auf meinem Kanal und ich hab meine Follower*innen gefragt: „was bedeutet denn für euch queer eigentlich im Hochschulkontext?“ Ich habe gerade die Ergebnisse hier offen und ich lese gerne mal das vor, was negativ genannt worden ist, also was kritisch war, nämlich: „Ich bin ein Aushängeschild für Diversität.“ „Ich erfahre keine Sichtbarkeit durch die Lehrenden.“ „Ich würde mich im MINT-Bereich [also in dem naturwissenschaftlichen Bereich] niemals outen.“ „Im Seminar muss ich immer wieder darauf hinweisen, dass nicht alle Menschen hetero sind.“ „Es ist ein Versteckspiel.“ „Ich muss mit queerefeindlichen, transfeindlichen Aussagen rechnen.“
„Ich habe gemerkt, dass man noch vieles etablieren muss und Aufklärungsarbeit leisten muss. Und es ein kräftezehrender Akt ist, sich immer wieder bei neuen Dozierenden outen zu müssen, um nicht ge-Dead-Named zu werden.“ Ge-Dead-Named bedeutet ja vor allen Dingen im Transkontext, wenn man einen Namen neu wählt und der Dead-Name ist der Name, den man abgelegt hat. Und meistens ist aber dieser Name noch verzeichnet in der Immatrikulationsbescheinigung. Im System ist er noch drin. Und da muss man immer wieder darauf hinweisen, ich bin nicht mehr X -Name, sondern mein neuer Name ist jetzt Lisa. Und das immer wieder zu machen und immer wieder sich auch damit konfrontiert sehen zu müssen, das immer wieder sagen zu müssen, kann sehr kräftezehrend sein, eben weil es noch so wenig Sensibilisierung innerhalb der Hochschule gibt. Und ich finde, Hochschule ist an sich schon eine sehr aufgeklärte Bubble im Vergleich zur Gesamtgesellschaft. Aber wenn wir uns gesamtgesellschaftlich allein schon anschauen, wie wenig Akzeptanz teilweise nach wie vor herrscht gegenüber queeren Menschen. Und dann rechnet man vielleicht ein paar Prozent drauf oder runter, je nachdem, und dann ist man in der Universität oder in der Hochschule. Das macht ja da trotzdem nicht Halt. Also wir sind trotzdem alle in einer bestimmten Gesellschaft sozialisiert mit bestimmten internalisierten Mustern, die wir haben. Es ist ein bewusster Akt, eine bewusste Entscheidung, sich dieser kognitiven Dissonanz zu stellen und zu sagen „Okay, das entspricht vielleicht nicht dem, wie ich groß geworden bin. Aber ich nehme mal an, dass da vielleicht was dran ist.“ Und dann fängt man an, das Ganze zu überdenken. Und das ist aber wie gesagt etwas, was jeder individuell machen muss. Und da ist halt eben auch nicht Hochschule von frei. Auch da gibt es Personen, die sich bewusst dagegen entscheiden, das zu tun.“
Claudia Huber:
„Das bedeutet aber auch, dass dieser persönliche Aufwand für die Personen, die in dieses Spektrum fallen, sehr viel höher ist. Also dieser psychologische Aufwand, sich jedes Mal durchzusetzen, sich outen „zu müssen“ – in Anführungszeichen, weil keiner muss das tun. Aber wenn man eben als Person da sein will, hat man quasi gefühlt immer die Pflicht, andere mitzunehmen und auf sich aufmerksam zu machen. Und das ist die Anstrengung, die individuell jetzt erst mal so da ist. Versteh ich das richtig?“
Lisa Niendorf:
„Korrekt, weil sonst würde ich ja heterosexuell gelesen werden. Also wenn ich jetzt von meinem Urlaub erzähle mit meinem Beziehungspartner, Partnerin oder einfach nur mit meinem Beziehungsmenschen könnte man davon ausgehen, dass ich heterosexuell bin. Und dann ... Ja, also muss ich erklären: „Nee, stopp, ich bin mit einer Frau zusammen.“ Da ist der Zusatz, weil die Gesellschaft davon ausgeht, dass ich heterosexuell bin, weil das halt „die Norm“ ist, in Anführungsstrichen. Genau.“
Claudia Huber:
„Und natürlich, wenn wir uns angucken: trans Personen, die haben natürlich mit diesen systemischen Dingen noch mehr zu kämpfen.“
Lisa Niendorf:
„Total, ja.“
Claudia Huber:
„Von wegen Namensanerkennung und auch in öffentlichen Registern, dass man sich da auch so nennen kann, dass man den neuen Namen, den man für sich dann auch wählen durfte, dass der dann auch umgesetzt wird. Das ist, glaub ich, dann auch eine systemische Geschichte.“
Lisa Niendorf:
„Ja, und wenn wir noch weitergehen und auch noch tiefer buddeln, dann gibt es eben auch Studien, die gezeigt haben, dass weiblich gelesene Personen, trans Personen und nichtbinäre Personen das höchste Risiko haben auch für geschlechtsbasierte Gewalt und das eben auch in Hochschulen. Also auch da gibt es Gewalttaten. Und Gewalt muss nicht immer sein, ich übe physische Gewalt aus. Gewalt kann sehr gut auch psychische Gewalt sein. Machtmissbrauch, all das ist Gewalt. Und das ist, glaub ich, wichtig, auch nochmal zu verstehen, dass sowas wie Diskriminierungen und geschlechtsbezogene Gewalt deutlich häufiger queere Studierende erleiden müssen im Vergleich zu hetero-cis Studierenden.“
Claudia Huber:
„Genau, das ist ein ganz großes Thema. Lass uns vielleicht da nochmal später drauf zurückkommen. Du sagst ja selbst, dass du queer bist und stellst dich vor deinen Studierenden auch immer so vor. Wie kann man denn Sichtbarkeit schaffen, ohne dass der Druck eines Coming-Outs entsteht?“
Lisa Niendorf:
„Meinst du, gesetzt den Fall, ich bin queer, aber möchte mich nicht outen, wie ich dann trotzdem dafür Sichtbarkeit schaffen könnte?“
Claudia Huber:
„Genau.“
Lisa Niendorf:
„Ja, ich würde sagen, ein Ally zu sein, schadet niemals. Also man kann ganz offen, finde ich, argumentieren oder auch sagen, ich bin ein LGBTQI+-Ally. Also ich gehöre zu der unterstützenden Gruppe, unabhängig davon, ob ich queer bin oder nicht. Und ich, also wenn ich mich jetzt zum Beispiel nicht outen würde, würde aber trotzdem die Pride Flag, aber die progressive Pride Flag, in meinen Moodle-Kurs packen, so wie ich es jetzt auch mache. Da steht drauf „You are welcome here“. Also einfach nur zu symbolisieren: das ist ein Kurs, der ein safer Space für euch sein soll und ihr seid hier willkommen.
Diese Flagge in meinen Moodle-Kurs zu packen oder wie auch immer man seine Lehrmaterialien hochlädt: Ich finde, diese Flagge kann man hochladen, unabhängig davon, ob man queer ist oder nicht. Weil sich dazu zu entscheiden, ein Ally zu sein, ist ein so großer Impact. Weil es ist manchmal schon sehr erdrückend, wenn die Last der Aufklärung stets immer nur auf den Betroffenen liegt. Und da würde man sich doch schon sehr wünschen, dass Personen, die von vielen Privilegien profitieren, es vielleicht schaffen, dann auch marginalisierte Gruppen so zu unterstützen, dass sie sagen: „Ja gut, ich hab das geschafft, weil ich ganz viel geleistet habe, aber es war auch vielleicht leichter als für andere Personen. Ich setze mich dafür ein, dass es für andere ähnlich einfach ist oder ähnlich leichter ist.“ Und ich finde, da kann man nichts falsch machen, indem man mit kleinen Gesten, wie dieser kleinen Flagge in dem Moodle-Kurs signalisiert: ihr seid hier willkommen und ich bin sensibilisiert und ich weiß um die Diskriminierung von marginalisierten Gruppen. Und das muss ja auch nicht nur queer sein, also dadurch, dass es die progressive Flagge ist, sind da auch People of Color mit enthalten. Es ist wirklich ein intersektionalistisches Bild von einer Flagge, was ich sehr schön finde, was auch symbolisiert: ich verstehe, dass es verstärkende Diskriminierungsformen gibt, die am Ende dann im Menschen noch stärker wehtun können.“
Claudia Huber:
„Du sprichst schon diese Flagge an. Was kann man denn noch tun, vor allen Dingen als Professor oder Professorin, um die LGBTQI+-Community zu unterstützen, auch in der Karriereentwicklung?“
Lisa Niendorf:
„Da fällt mir ein, also klar, einerseits finde ich, ist Gendern immer eine ganz tolle Möglichkeit, um Vielfalt auch sprachlich sichtbar zu machen. Dann gerade in der Karriereförderung: zum Beispiel unten [in Stellenanzeigen], da steht doch immer, wir werden Frauen bevorzugt einstellen bei gleichwertiger Qualifikation. Da könnte man dann zum Beispiel explizit auch reinschreiben, dass man queere Menschen bevorzugt einstellt bei gleichwertiger Qualifikation. Dass man also explizit diese Personengruppen anspricht und sie ermuntert sich da drauf zu bewerben.
Dann würde ich es total toll finden, wenn Professor*innen gerade in den empirischen Wissenschaften, die sich vor allen Dingen mit den quantitativen Wissenschaften beschäftigen, sensibilisierter werden bei der Fragebogenerstellung. Gerade wenn es um Geschlecht geht, also die Geschlechterabfrage, da einfach auch nicht nur männlich-weiblich-divers, sondern andere Facetten mit aufzunehmen. Und da gibt es mittlerweile schon ein, zwei tolle Handreichungen, wie man das machen kann.
Man könnte es natürlich auch gerade mit Blick auf Karriereentwicklung etwas indirekter machen, indem ich zum Beispiel Forschungsprojekte fördere, die sich explizit mit queeren Menschen auseinandersetzen. Dadurch fördere ich ja auch die Sichtbarkeit von: es ist wichtig auch diesen Menschen Raum zu geben und diese Menschen eben auch zu beforschen – ohne jetzt so klinisch zu klingen. Aber zum Beispiel haben wir ganz, ganz wenig Umfragen, Surveys, Studien, die sich mal explizit mit queeren Menschen im Hochschulkontext auseinandergesetzt haben oder auch überhaupt die tatsächliche Anzahl von queeren Menschen. Weil [es] viel zu wenige Forschungsvorhaben [gibt]. Und vor allen Dingen auch in Deutschland: wie die Situation in Deutschland ist von queeren Studierenden, da weiß man kaum was zu. Allein, wenn man, glaub ich, solche größeren Studien angehen würde, [zu] Lebensrealitäten von queeren Studierenden, von Wissenschaftler*innen. Ich glaub, ich wüsste gar keine Studie zu queeren Wissenschaftler*innen und Professor*innen in Deutschland. Fällt mir nichts ein. Dazu mal was zu machen, würde Akzeptanz, würde auch einen respektvollen Umgang bedeuten und würde Sichtbarkeit bedeuten. Und ich glaube, das wäre schon mal ein erster und ein wichtiger Schritt, um auch queere Wissenschaftler*innen zu unterstützen und ihnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen.“
Claudia Huber:
„Ich finde den Ansatz total gut. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Studierenden sich gar nicht so gerne äußern in solchen Umfragen, weil sie immer wieder Angst haben, dann doch outgecalled zu werden oder doch sichtbar gemacht zu werden, wenn sie es gar nicht möchten. Wie kann man damit umgehen?“
Lisa Niendorf:
„Gute Frage. Sehr gute Frage. Vermutlich wirklich auch einen Hinweistext dazu schreiben. Also, sich dessen bewusst zu sein, dass, wenn man diese Fragen stellt, man ein Stück weit eben auch das Stigma reproduzieren kann. Und ich könnte mir vorstellen, dass ein kleiner Hinweistext, ein kleines Kästchen, diesen Personen auch ein gewisses Vertrauen schenkt. Im Sinne von: Die haben sich Gedanken darüber gemacht, wie ich mich fühlen werde, wenn ich das sehe. Und dann kann man in diesem Text schreiben, wenn du dich damit unwohl fühlst, dann kannst du die Frage natürlich auslassen. Und wir verstehen das und wie auch immer man das formuliert. Aber das könnte ich mir ganz gut vorstellen.
Ich wollte noch mal einen anderen Gedanken loswerden zu vorher, wie man karrierefördernd vorgehen kann. Ich finde es auch ein bisschen bezeichnend, dass jetzt, durch meine Größe des Kanals, das jetzt Aufmerksamkeit bekommt und ich deswegen ja auch in immer mehr Kontexten eingeladen werde und darüber sprechen darf. Ich komme nicht aus den Gender Studies, ich komme nicht aus der Queer Theory und es gibt wirklich garantiert ganz viele tolle Wissenschaftler*innen, die sich damit beschäftigen. Und das Spannende ist aber, dass die Personen selten in solche größeren Formate eingeladen werden, weil es dann meistens erst Sichtbarkeit braucht durch Social Media, durch was auch immer. Und da, finde ich, da könnten wir uns innerhalb unserer Community, also innerhalb unserer Scientific Community, auch nochmal ein bisschen unterstützen. Dass wir sagen: Wen gibt es denn dort eigentlich? Wer macht denn dazu tolle Sachen? Dass wir wirklich, wenn wir über marginalisierte Gruppen sprechen, das verbessern wollen, man auch schaut, welche tollen Wissenschaftler*innen gibt es denn eigentlich innerhalb unserer Hochschul- und Universitätslandschaft, die sich damit schon beschäftigen? Und das macht man, glaube ich, auch noch viel zu wenig.“
Claudia Huber:
„Ja, ich glaube, das ist ein sehr spannendes Thema.“
Paulina Fresow:
„Ich mache mal kurz den Schwenk. Du hast vorhin das Thema Reflektion der eigenen Privilegien angesprochen. Und dass das wichtig ist, dass das auch Thema im Hochschulalltag wird, seine eigenen Privilegien zu reflektieren. Wie kann denn die Hochschule das machen? Wie kann man den Hochschulalltag so gestalten, dass das möglich ist? Man kann ja schwierig die Menschen dazu zwingen, sich selbst zu reflektieren.“
Lisa Niendorf:
„Würd ich gut finden, aber ... Kein Zwang, aber zumindest eine regelmäßige Supervision oder so. Das würde ich sowieso großartig finden. Also gerade für lehrende Personen immer Supervision anzubieten, um über Situationen im Kontext, also im Seminarkontext zu sprechen, im Lehrkontext. Ich habe relativ viele Studierende bei mir in den Sprechstunden sitzen, die weinen, die ihre Problemlagen erzählen. Das macht ja auch was mit mir. Also darüber zu sprechen, das würde ich immer sehr, sehr wichtig finden.
Ich vermute – weil das ist ja jetzt so ein großes Thema, also weil Universitäten und Hochschulen Machtmissbrauch begünstigen aufgrund ihrer Strukturen – glaube ich müsste da zuallererst angesetzt werden, damit überhaupt ein Raum geschaffen wird, damit Personen, die vor allen Dingen viel Macht innehaben, und das sind einfach die hetero-weißen-cis Männer, dass wenn die von ihrer Macht entbunden werden in dieser starken Konzentration von Macht, dass dann tatsächlich auch Raum aufgemacht wird, um das auch reflektieren zu können, weil man nicht ständig in diesem Überlebensmodus ist. Oder anders: ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Personen, die vor allen Dingen die Opfer in diesem System sind… ich nenne das wirklich Opfer, weil ich finde, wir haben machtmissbräuchliche Systeme an Universitäten, da gibt es Täter*innen und es gibt Opfer*innen. Ich weiß gar nicht, ob man Opfer auch gendert oder ob es schon genderneutral ist.
Aber ich glaube, diese Personen sind sich sehr wohl ihrer Privilegien bewusst. Weil sich meistens die Personen mit Privilegien auseinandersetzen, die wenig haben. Weil sie tagtäglich spüren, welche Privilegien sie nicht haben und entsprechend diskriminiert und behandelt und nicht sichtbar gemacht werden. Die Personen, die ganz viel davon haben, die reflektieren ihre Privilegien nicht, weil „why?“ Es gibt gar keinen Anlass dafür, es zu tun. Und wenn man jetzt es schaffen könnte, die Personen in sehr machtvollen Positionen zu entmachten, dass man die Strukturen anders gestaltet, dass es vielleicht so was wie Departmentstrukturen gibt, dass es nicht mehr konkrete Abteilungen und Lehrstühle gibt, dass so was wie Doktorarbeitsbetreuung nicht mehr nur an einer Person liegt. Also eine Person ist dafür zuständig, meinen Urlaub zu unterschreiben, meinen Laborzugang zu gewährleisten, meine Note zu vergeben, meine Dokumente zu unterschreiben mit Blick auf den Promotionsprozess und so. Es hängt alles an einer einzigen Person. Wenn das entkoppelt wäre, dann glaube ich, ist Hochschule tatsächlich ein Ort mit vielen Reflektionen. Und ich glaube, viele Menschen sind sich bereits schon ihrer Privilegien bewusst, weil wir sehr viele Menschen dort haben, die eben wenig haben.
Und wir haben relativ wenig Menschen, die viele Privilegien haben, aber sehr viel Macht. Und wir haben mehr Menschen mit weniger Privilegien mit weniger Macht. Ich glaube, wenn wir dieses Verhältnis auflösen, dann könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass das ein Selbstläufer ist. Ansonsten natürlich gibt es tolle AGs und Organisationsgruppen an Universitäten, denen man sich anschließen kann. Personalpolitik, Intersektionalismus, Queer-Referat – es gibt so viele verschiedene Gremien, in denen man sich engagieren kann.
Man kann versuchen, Gelder zu nutzen, um Ringvorlesungen anzubieten, die genau das thematisieren, wenngleich wir da das Problem haben, dass wahrscheinlich nur die Personen hingehen werden, die sich eh schon damit beschäftigen. Da haben wir auch so einen Selection-Bias drin. Aber ja, auch wenn die Schritte langsam sind, würde ich damit nicht aufhören wollen, weil ich glaube, diese kleineren Schritte werden irgendwann immer größer, weil Personen sich immer mehr auflehnen gegen das System. Ich weiß noch nicht ganz, wohin das führt. Also ob es am Ende zum Neustart kommt oder zum Zusammenbruch. Weil, ich muss wirklich sagen, ich bin mir nicht sicher, ob das Wissenschaftssystem, das Hochschulsystem, so wie es jetzt gerade funktioniert, noch lange so funktionieren wird. Oder ob da nicht irgendwann auch ein paar Strukturen so zusammenbrechen, dass dann die Bildungspolitik vor allen Dingen große Probleme haben wird. Gerade mit Blick aufs Prekariat und so weiter. Also hinter all den Aspekten der Charta der Vielfalt, da drüber steht wirklich übergeordnet das Thema machtmissbräuchliche Strukturen. Also wirklich das Thema Macht. Weil es gibt immer einen Täter und ein Opfer. Das zieht sich durch die gesamte Charta der Vielfalt. Völlig egal, ob es mentale Gesundheit, Behinderung ist, ob es People of Color sind, ob es sexuelle Vielfalt ist. Alles, was nicht der Norm entspricht, wird eben entsprechend mit Macht kaputt gemacht. Ich finde, das muss angegangen werden. Dann sind alle anderen „Probleme“ in Anführungsstrichen, keine Probleme mehr, weil es nicht mehr diese machtvollen Positionen gibt. Wenn das aufgelöst wird, dann kann das funktionieren. Vorher, glaube ich, ist das alles nur ein Pups im Wind.“
Claudia Huber:
„Auf Social Media zeigst du, dass du immer wieder vor allen Dingen Anfeindungen im Netz ausgesetzt bist. Meist von irgendwelchen Männern, die dir deine Leistungen aberkennen, die immer wieder sagen, das kannst du nicht. Also sprich dieser Matilda-Effekt, der da auch bei dir sichtbar wird, beziehungsweise den du sichtbar machst. Und ich hab das jetzt eher im Netz bei dir wahrgenommen. Also auf deinen Social Profilen zeigst du das. Ist es bei dir im Unialltag auch so oder ist die Hochschule da schon anders aufgestellt? Wie erlebst du es denn in der Hochschule direkt?“
Lisa Niendorf:
„In der Hochschule merke ich das gar nicht. Also wirklich null, das kann ich sofort sagen. Ich merke das wirklich nur im Netz, ich merke das nur auf Instagram und auf TikTok, aber in meiner Hochschule und auch auf Konferenzen merke ich das nicht.
Ich vermute aber auch, dass die Menschen, wenn sie so denken, mir das nicht ins Gesicht sagen würden. Also ich glaube, wenn sie so denken sollten, dann erfahre ich das nicht, weil sie es mir nicht direkt sagen.
Ich habe natürlich mit der Zeit auch ein Stück weit Coping-Mechanismen angelegt, dass ich wirklich sage, es interessiert mich nicht, was fremde Menschen über mich denken. Es interessiert mich, also wenn es aus der Community ist, was sie wissenschaftlich über mich denken, wie sie über meine wissenschaftliche Arbeit sprechen, über die Art, wie ich lehre, über die Art, welche Inhalte ich lehre. Darüber können wir sehr gerne sprechen. Wenn man aber mit mir darüber diskutieren möchte, warum ich mich für queere Rechte einsetze und warum ich es wichtig finde, meine Panikattacken oder meine Angststörung zu thematisieren – „das darf ich doch nicht als Dozentin“ – dann gucke ich natürlich immer: ist die Person wirklich bereit, in den Diskurs zu gehen oder hat sie einfach nur ein Mitteilungsbedürfnis, weil sie gerade versuchen möchte, ihren eigenen Selbstwert durch Abwertung aufzuwerten. Da sag ich dann auch, egal, wer vor mir steht: „tut mir leid, aber ich habe kein Interesse daran, mit dir dieses Gespräch zu führen“. Das muss ich sagen: das hat natürlich meine Unbefristung gebracht, also diesen Mut, „Nein“ zu sagen und auch zu sagen, wo meine Grenzen sind, unabhängig, ob das ein Professor, eine Professorin oder ein Institutsleiter oder wer auch immer ist. Keine Position hat das Recht, mich zu übergehen, mich zu entwerten und mich abzuwerten und meine Grenzen zu überschreiten. Und genau, deswegen bin ich da auch immer sehr, sehr direkt, was natürlich manchmal auch zu Irritation führt. Aber mir ist das sehr wichtig, da diese Grenzen klar zu setzen. Aber um noch auf deine Anfangsfrage zurückzukommen, ich habe es aber noch niemals gehört, erlebt und wahrgenommen in meiner eigenen Community, also im Bereich Bildungs- und Erziehungswissenschaften.“
Claudia Huber:
„Du hast ja jetzt auch gesagt, dass du gelernt hast, das zu distanzieren. Also dass du sagst, die Leute, egal was sie privat über mich denken, mir ist wichtig, einen bestimmten Teil reflektiert zu bekommen und auch im Diskurs zu sein. Was sie privat denken, da hat man ja keinen Finger drauf. Also jeder darf ja denken, was er oder sie will. Ist zwar schade, wenn es dann so feindlich ist, aber trotz allem, wenn es bei den Gedanken bleibt, dann kann man damit ja irgendwie noch leben, weil man es im Zweifel ja nicht mitbekommt.
Was kannst du jungen Leuten sagen oder mitgeben, die sich jetzt im Moment überlegen: ich möchte vielleicht eine akademische Karriere machen. Weil sie gegen Ende ihres Studiums sind. Weil sie sagen, eigentlich habe ich total Spaß dran, aber aufgrund dieser Querelen oder aufgrund dieser Härten, die es da vielleicht auch noch gibt in diesem System, weiß ich nicht, ob ich mich zu einer Dissertation überwinden kann oder weiß ich nicht, ob ich den Weg zur Professur einschlagen möchte. Gibt es da Tipps, die du den Menschen mitgeben kannst?“
Lisa Niendorf:
„Wenn wir nicht so ein großes Problem hätten mit mangelnden Therapieplätzen, würde ich sagen: geht zur Therapie begleitend. Unabhängig davon, ob große Problemlagen vorliegen oder nicht. Aber ich finde das einfach auch immer als regelmäßigen Abgleich sehr, sehr toll.
Ich selber habe sieben, acht Jahre Psychotherapie gehabt und es war immer komplett begleitend. Ich glaube, es war ab dem letzten Semester Master, wo ich meine Masterarbeit geschrieben habe. Ab dann ging es los ungefähr bis vor einem Jahr und das hat mir sehr viel gebracht. Insofern ist es schwierig zu trennen, was ist Psychotherapie und was ist tatsächlich etwas, was man auch ohne gut hinbekommen kann.
Ein Punkt, den ich wirklich immer sehe, ist, sich einfach mit guten Menschen zu umgeben innerhalb der Abteilung. Also sucht euch Menschen, mit denen ihr offen über eure Sorgen und Ängste sprecht und über den Druck und über vielleicht all die Probleme, die gerade im Kopf umherschwirren. Die werden, auch wenn man sagt „okay, ich fange die Promotion an“, die werden ja plötzlich nicht weg sein. Die sind ja trotzdem da, die begleiten einen. Und es ist total hilfreich, einen tollen Austausch zu haben auf Augenhöhe. Und nicht Personen, die vielleicht auch systemisch bedingt einige komische Charakterzüge angenommen haben, sondern sich da wirklich mit tollen Menschen zu umgeben.
Ich glaube, dann ist auch noch ein wichtiger Punkt zu wissen, es gibt außerhalb der Academia ein Leben. Ein ganz tolles Leben. Und dass man sich das behält. Dass man, auch wenn man – und das wird man im Bereich, vor allem in der Doktorarbeit oft haben – oft so angesprochen wird, gerade bei Rückmeldungen, bei Artikeln, dass man es sehr schnell auch persönlich nehmen kann, weil die Wortwahl teilweise auch immer sehr harsch ist und es ist schon ein hartes Pflaster. Und es ist da immer wieder gut zu wissen, das, was ich da kommentiert bekomme, das bin nicht ich. Ich bin die Person, die zu Hause gerne Kuchen backt. Ich bin die Person, die es liebt, mit der Person auf der Couch zu sein. Die den Wind auf der Haut spürt, wenn sie Fahrrad fährt. Also zu wissen, wer ich außerhalb der Wissenschaft bin und zu wissen, es ist ein Teil von mir, aber nicht der gesamte Teil. Und das hilft, glaube ich, auch ein Stück weit bei der Abgrenzung. Gerade wenn man sehr viel Druck und sehr viel Verzweiflung und auch sehr viel so eine gewisse Erwartungshaltung und Leistungsdruck spürt.
Was auch wichtig ist, ist gerade wenn man in etwas schwierigeren Situationen an der Hochschule oder in der Hochschule vielleicht auch gefangen ist, sich zu informieren, was gibt es für Beratungsstellen. Und das, was ich gemerkt habe, ist, wenn man selber schon mittendrin ist, dann hat man kaum Kraft, sich dann auch noch zu informieren darüber, wo kann ich Hilfe bekommen. Und sich im Vorfeld schon so ein paar Anlaufstellen rauszusuchen, die ich nur noch anklicken muss und nicht mehr nachsuchen muss, nicht mehr recherchieren muss, das ist auch etwas das viel Kraft kostet. Und ansonsten, also mir hat's auch immer sehr geholfen, so die Lust und Freude daran nicht zu verlieren, indem ich immer Dinge mutig ausprobiert habe. Das hat mich dazu ermutigt immer weiter dran zu bleiben, immer weiter zu machen, weil ich so ein bisschen outside the box schon immer war. Ich wollte immer ein bisschen Dinge anders machen. Und wenn man den Mut hat, es auszuprobieren, dann kann ich da nur bekräftigen, weil sich daraus wirklich tolle Sachen erwachsen können. Gerade mit Blick auf manchmal diese doch sehr langweilige Poster-Erstellung auf Konferenzen, die kann man echt cool machen, wenn man einfach Bock hat, mal Sachen anders zu machen.“
Claudia Huber:
„Das sind schon ganz tolle Tipps und tatsächlich gibt's ja auch Coaching und wenn man da ganz sicher gehen will, dann sollte man auf den Berufsverband deutscher Psychologen und Psychologinnen gehen. Die haben da eine Sektion „Coaches, die Psychologie studiert haben“. Das heißt, da ist eine gewisse Qualitätssicherung noch dahinter. Das können wir gerne auch später noch verlinken, weil tatsächlich Therapieplätze sehr rar gesät sind.“
Paulina Fresow:
„Wir hatten jetzt das Thema Machtstrukturen. Dass man das aufbrechen muss, weil wir dadurch einfach die größten Herausforderungen haben. Aber wie kann man das machen? Was kann die Hochschule konkret machen? Oder muss da die Politik ran? Ist das eher ein politisches Thema? Oder kann die Hochschule von sich aus schon Dinge umsetzen. Was meinst du?“
Lisa Niendorf:
„Ich glaube, mit das Hauptproblem ist, ein Professor oder eine Professorin oder auch ein Mitarbeiter, muss ja gar keine Professorin sein, damit diese Person entlassen wird, die im öffentlichen Dienst unbefristet angestellt ist, da muss man schon ganz viel Kacke bauen und dabei erwischt werden. Nur dann wird man wirklich entlassen. Es gibt diese tolle Initiative „Netzwerk gegen Machtmissbrauch“. Das ist ein Netzwerk von Wissenschaftler*innen, die sich das Ziel gesetzt haben, über Machtmissbrauch aufzuklären. Und wenn man sich dann aber mal die Mitglieder*innen anschaut, dann ist das überschaubar. Es ist wirklich überschaubar. Und das ist leider immer noch viel zu wenig, wenn man sich anschaut, wie viele Wissenschaftler*innen wir in Deutschland haben und wie viel davon von machtmissbräuchlichen Strukturen betroffen sind und kann nur darauf aufmerksam machen, Mitglied zu werden bei diesem tollen Netzwerk. Das ist, glaub ich, etwas, was auch noch wichtig ist. Das heißt, es gibt nicht viele TäterInnen, die bewusst diese machtmissbräuchlichen Strukturen umsetzen. In meinen Augen immer noch zu viel. Aber was es zu viel gibt, sind die, die schweigen. Sind die, die es still hinnehmen. Sind die, die es „übersehen“ in Anführungsstrichen. Die, die denken, es ist doch immer so, das gehört dazu. Die, die denken oder meinen, ich traue mich nicht zu sagen, weil am Ende fällt es auch auf mich zurück. Will ich nicht. Ich habe mich doch jetzt so durchgekämpft durch dieses System Wissenschaft. Ich habe so viel aufgegeben, so viel geleistet. Wenn ich jetzt den Mund aufmache, habe ich doch Sorge, all das zu verlieren. Jede Person, die wegschaut, jede Person, die nicht etwas dagegen macht und nichts dagegen sagt, die führt dazu, dass dieses Netz immer undurchdringlicher wird.“
Claudia Huber:
„Aber was können denn noch Studierende tun oder was können Professoren und Professorinnen tun, die sagen, hey, ich möchte eine akademische Karriere machen und ich möchte Menschen dahin begleiten, dass sie eine gute akademische Karriere machen können. Was kann man denen mitgeben und um vielleicht auch zu sagen, was ist denn auch gut an Hochschule und diesem Karriereweg?“
Lisa Niendorf:
„Ich fange mal bei der letzten, also bei der zweiten Frage an. Also ich finde es unfassbar toll, wie sehr man sich verwirklichen kann. Wie sehr man es schafft, sich in die Themen, die man liebt, hineinarbeiten zu dürfen, reindenken zu dürfen. Die Ressourcen, die man zur Verfügung hat. Man hat unendlich viel Zugriff auf so viel Wissen. Das finde ich einen unfassbaren Schatz. Das macht sehr viel Freude.
Man findet schnell heraus, was für ein Mensch man ist mit Blick auf die eigene Resilienz. Wie viel halte ich aus? Wie viel kann ich? Wie viel möchte ich lernen? Wo sind meine Grenzen? Das möchte ich aber auch positiv sehen, weil ich finde, das kann einen sehr persönlichkeitsentwickelnd weiterbringen.
Das Netzwerk, was man knüpfen kann, finde ich, ist unfassbar wertvoll, weil man lernt, andere sehr kluge Köpfe kennen, die teilweise weltbewegende Dinge herausfinden. Das finde ich ganz großartig. Man hat sehr viel Freiheit. Man ist an keinen 9-to-5-Job gebunden, wenngleich, mit Blick auf die Überstunden, das natürlich manchmal Fluch und Segen zugleich ist. Aber ich kann zum Beispiel bestimmen, wann ich arbeite. Sei es jetzt morgens um 6 oder sei es dann doch um 18 Uhr, weil ich von 6 bis 10, wenn ich keine Lehre habe, noch mal was anderes machen möchte. Wir haben schon auch sehr flexible Gleitzeiten und Arbeitszeiten. Das finde ich auch schon sehr, sehr gut.
Man ist als Wissenschaftler*in, finde ich, so pseudo-selbstständig, weil man ganz oft ja auch für sich und mit sich arbeitet, in eigenen Projekten, dann mal wieder mit Menschen zusammen im Projekt arbeitet. Das ist so vielfältig. Und auch immer wieder neu. Man macht nicht immer die gleichen Tätigkeiten aufgrund der neuen Projekte, die man eingeht. Das, find ich, kann wahnsinnig wertvoll sein und dadurch macht es mir immer noch großen Spaß.
Und wie kann man Menschen unterstützen in ihrer Karriere? Sie sehen. Also sie wirklich sehen. Und damit meine ich, gesehen werden mit Blick auf das Anerkennen ihrer Lebensrealität, das Anerkennen ihrer eigenen Sicht auf die Dinge. Wenn eine Person sagt, „boah, das ist mir zu viel“, es ihr zu glauben und anzunehmen und nicht zu sagen, „ach komm, ich hab das auch hinbekommen.“ Nee, wenn es der Person gerade zu viel ist, dann kann man ja nachfragen und schauen, warum ist es dir gerade zu viel? Woran liegt das? Müssen wir die Strukturen ändern? Ist es gerade die Kommunikation, die dir zu viel ist? Also sich wirklich auch mit der Person auseinandersetzen und sie sehen in all ihren Facetten. Wenn man das macht und jemanden wirklich begleiten will als Mensch, als Persönlichkeit und sie fördert und fordert. Und da vor allen Dingen es nicht sieht als ein Ausmelken neuer Publikationen, wo ich als Erstautorin draufstehe, sondern ein, ich möchte dir helfen beim Wachsen. Dann kann daraus was ganz Tolles entstehen.“
Claudia Huber:
„Das hört sich doch schon mal sehr positiv an und gibt, glaub ich, auch viel Freiheit, was man vielleicht so nicht denken würde von einer akademischen Karriere, wenn man nicht gerade schon mittendrin ist.
Am Schluss würden wir gerne noch eine Frage stellen, die sich damit beschäftigt: Was ist denn deine persönliche Vision für eine vielfältige und inklusive Hochschule der Zukunft? Also da haben wir ja schon viel gehört: Strukturen verändern. Vielleicht noch mal kurz in deinen Worten, was beinhaltet das vielleicht noch?“
Lisa Niendorf:
„Also ich finde auf der strukturellen Ebene: All-Gender-Toiletten, All-Gender-Umkleiden, eine Vornamensänderung und die Änderung des Geschlechtseintrags ist sehr einfach, unbürokratisch möglich. Es gibt Sprachleitlinien an Universitäten und Hochschulen. Es gibt eine*n Antidiskriminierungsbeauftragte*n oder ein Antidiskriminierungsreferat, also Menschen, die sich genau damit beschäftigen. Dass es einen erleichterten Zugang gibt zu psychologischen Beratungen, dass sie leicht auffindbar sind auf Hochschulwebsiten. Ich finde ganz oft sind die auch sehr versteckt. Das hattest du ja auch schon angesprochen, Claudia.
Bei der Community, also im Bereich Allyship, würde ich sagen, es bräuchte vielleicht Stammtische, Möglichkeiten des Austausches. Dass ich nicht erst einen gründen muss, sondern dass es schon etwas gibt, wo ich mich einfach niedrigschwellig dran beteiligen kann. Dass dann dadurch auch eine Sichtbarkeit geschaffen wird.
In der Lehre und Forschung: Genau das Curricula, das hatten wir in unserem kleinen Vorgespräch schon angesprochen. Also ich finde im Curriculum sollten queere Lebensrealitäten sichtbar werden. Dort sollten auch die Lebensrealitäten von trans und nichtbinären Menschen, von Frauen, von Homosexualität sichtbar werden. Forschungsprojekte sollten zum Beispiel genau das aufnehmen, also genau zum Beispiel auch die queeren Lebensrealitäten mal erforschen, ohne dabei eben das auch weiter zu reproduzieren. Seminar- und Vorlesungsinhalte, und das kann jeder gerade machen, der diesen Podcast hört und selber Seminare oder Vorlesungen gibt, einfach mal auf Heteronormativität prüfen. Wie viel meiner Inhalte, die ich vermittle, sind eigentlich von Heteronormativität, also von der Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit, aber auch von der Vorstellung von Mann liebt Frau und Frau liebt Mann betroffen oder gespickt oder wie auch immer.
Ich könnte zum Beispiel auch Haus und Abschlussarbeiten in Auftrag geben, die sich explizit damit beschäftigen, dass auch vielleicht queere Menschen richtig Bock darauf haben. Geil, ich kann mich damit auseinandersetzen. Da ist jemand, der genau das mal in Auftrag gibt.
Und ansonsten Aus- und Fortbildungen, Supervision, Kampagnen, Workshops. Ich glaube, was das angeht, gerade mit Blick auf so Prävention und Sensibilisierung, da sind die Grenzen komplett offen. Da ist, glaube ich, immer die Frage, was wir auch schon besprochen haben, wie gut schafft man es, die zu erreichen, die sich nicht erreichen lassen wollen. Aber das ist, glaube ich, etwas, was ganz viele Menschen beschäftigt an Hochschulen und Universitäten. Und eventuell bräuchte es auch mal eine gesamthochschulische Strategie und Initiative, wo all das mal gebündelt wird. Weil das sieht man ja auch in vielen Einzelprojekten: Man löffelt die Suppe irgendwie alleine. Und vielleicht haben andere Hochschulen und Universitäten schon ganz andere Lösungen gefunden, von denen man aber nicht ganz weiß, weil das alles noch intern vonstattengeht.
Das heißt, eine bundesweite Queere Strategie oder an sich einfach marginalisierte Strategie oder Umgang mit marginalisierten Gruppen oder die Förderung oder wie auch immer man dann ein richtiges Wort für findet, das würde ich persönlich als sehr, schön finden. Oder auch mal eine Bündelung an Projekten, die es alle gibt schon. Eine Bündelung an Kampagnen, hochschulübergreifend, universitätsübergreifend, dass sich tolle Menschen zusammensetzen und gemeinsam über die Sache sprechen und voneinander profitieren.“
Claudia Huber:
„Paulina, hast du denn noch eine Frage?“
Paulina Fresow:
„Das war jetzt so ein bereicherndes Gespräch. Bestimmt hätte ich im Nachgang noch ganz viele Fragen. Nee, erstmal nicht, nee.“
Claudia Huber:
„Lisa, dann danken wir dir recht herzlich dafür, dass du uns so viel Rede und Antwort gestanden hast und das Gespräch so wahnsinnig informativ aufgefüllt hast mit allen möglichen Dingen und Aspekten, die ja wirklich alle betrachtet werden müssen und die für einen kleinen Podcast und so eine kleine Folge vielleicht auch echt zu klein ist, um alles wirklich in der Tiefe zu betrachten. Deswegen herzlichen Dank für deine Bereitschaft und deine Zeit.“
Paulina Fresow:
„Ja, dankeschön!“
Lisa Niendorf:
„Sehr, sehr gerne.“
Paulina Fresow:
„Das war unsere heutige Folge. Wir hoffen, sie hat euch genauso inspiriert wie uns. Was denkt ihr denn darüber? Teilt eure Gedanken und Feedback mit uns. Wir sind gespannt darauf. Schreibt uns gerne einen Kommentar hier auf Spotify. Wenn ihr mehr von uns hören wollt, vergesst nicht, den Podcast zu abonnieren, damit ihr keine Episode verpasst. Erzählt auch gerne euren Freunden und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen, Professoren und Professorinnen von uns. Je mehr, desto besser. Lust auf mehr? Dann kommt zu unserem Afterwork-Event am 3. Dezember 2024 in Stuttgart. Wir reden über Diversity an der DHBW und freuen uns darauf, euch persönlich kennenzulernen. Alle Infos dazu findet ihr in den Shownotes.
Bis zur nächsten Folge, bleibt dran!“