Vielfaltsdimension "Körperliche und geistige Fähigkeiten" - Im Podcastgespräch mit Prof. Dr. Simone Danz

Inklusion in der Hochschulbildung ist ein komplexes Thema, das weit über rein bauliche Barrierefreiheit hinausgeht. Insbesondere die Berücksichtigung von körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen erfordert flexible, solidarische und individuelle Ansätze. In der Podcastfolge zur Vielfaltsdimension „körperliche und geistige Fähigkeiten“ sprechen Paulina Fresow und Claudia Huber mit Prof. Dr. Simone Danz über zentrale Maßnahmen und Erkenntnisse, die Hochschulen auf ihrem Weg zu inklusiveren Lern- und Arbeitsumgebungen begleiten können. Hören Sie die Folge hier oder lesen Sie nachfolgend die Zusammenfassung der besprochenen Maßnahmen und Erkenntnisse.

Über Prof. Dr. Simone Danz

Prof. Dr. Simone Danz ist seit April 2024 Professorin für inklusive Kinder- und Jugendhilfe an der Frankfurt University of Applied Sciences in Frankfurt am Main. Zuvor war sie einige Jahre Professorin für Bildung und soziale Inklusion an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden sowie Professorin für Inklusive Pädagogik und Heilpädagogik an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg.
Nach einer Lehre als Gärtnerin, einer Ausbildung zur Arbeitstherapeutin und einem Studium der Erziehungswissenschaften sowie des Hochschul- und Wissenschaftsmanagements promovierte sie 2015 am Institut für Rehabilitationspädagogik der Humboldt-Universität Berlin. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Menschenrechtsbildung und kollektive Reproduktionen von Normalität – insbesondere bei Fachkräften der Sozialen Arbeit.
In den letzten Jahren entstanden zahlreiche Artikel und Bücher, zuletzt der Titel „Ent-Hinderung. Ein Leitfaden“ bei Belz Juventa sowie Arbeitsmaterialien zur 360-Grad-Perspektive in der Heilpädagogik beim BHP-Verlag (zusammen mit Irmgard Seidel).


Vielfalt an der Hochschule: Maßnahmen und Erkenntnisse zur Inklusion von Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen

1. Gesetzliche Grundlagen und die Herausforderungen in der Umsetzung

Hochschulen sind durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen. Obwohl die UN-BRK auf Bundesebene als Gesetz anerkannt wurde, zeigt sich in der Praxis oft eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass Hochschulsysteme nach wie vor stark leistungs- und selektionsorientiert sind. Diese Strukturen erschweren es, individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Ziel muss es sein, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ohne zusätzliche Hürden gleichberechtigt teilhaben können – sowohl als Studierende als auch als Beschäftigte. Dafür sind maßgeschneiderte Lösungen notwendig, die über standardisierte Regelungen hinausgehen.

2. Nachteilsausgleich und flexible Prüfungsformate

Ein zentraler Ansatzpunkt ist die Anpassung von Prüfungsanforderungen durch Nachteilsausgleiche. Diese sollten darauf abzielen, Chancengleichheit zu schaffen, anstatt die gleichen Maßstäbe für alle anzulegen. Vergleichbar mit dem bekannten Bild, in dem Tiere mit unterschiedlichen Fähigkeiten alle denselben Baum erklimmen sollen, geht es darum, individuelle Voraussetzungen zu berücksichtigen.

Doch die derzeitige Bürokratie erschwert die Umsetzung oft. Die Fokussierung auf administrative Vorgaben wie Fristen oder Anmeldungen lenkt von der eigentlichen Prüfungsvorbereitung ab. Hochschulen sollten ihre Verwaltungsprozesse so gestalten, dass sie die Bedürfnisse der Studierenden unterstützen, anstatt zusätzliche Hürden zu schaffen.

3. Solidaritätsfähigkeit und Sensibilisierung fördern

Eine inklusive Hochschule lebt von einer solidarischen Gemeinschaft. Dies bedeutet, dass sowohl betroffene Personen als auch ihre Mitstudierenden und Lehrenden gemeinsam an Lösungen arbeiten.

Eine Schlüsselkompetenz sowohl während des Studiums als auch im Berufsleben ist die sogenannte Solidaritätsfähigkeit: Alle Beteiligten einer Situation sind aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten, um Barrieren abzubauen.

4. Barrierefreie Lehre und alternative Kommunikationswege

Barrierefreie Lehre geht über die Bereitstellung von Rampen und Fahrstühlen hinaus. Sie umfasst Methoden, die auf die Bedürfnisse aller Lernenden eingehen. Zum Beispiel profitieren alle Studierenden von verständlichen Präsentationen, Alternativtexten und detaillierten Erklärung von Grafiken sowie der Integration von unterstützenden Technologien und der Förderung von flexiblen Gruppenarbeitsformaten, in denen Studierende voneinander lernen, ihr Wissen teilen und gemeinsam Herausforderungen lösen.

5. Inklusion als gemeinsamer Aushandlungsprozess

Ein zentraler Aspekt der Inklusion ist, dass sie nicht als Bringschuld einer einzelnen Gruppe verstanden werden sollte. Stattdessen muss Inklusion als dynamischer Prozess gesehen werden, bei dem alle Beteiligten – Betroffene, Lehrende, Verwaltung und Mitstudierende – Verantwortung übernehmen.

Das Ziel ist es, nicht nur die Bildungschancen Einzelner zu verbessern, sondern auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie ein solidarisches Miteinander gestaltet werden kann. Dazu gehört, dass Lehrende Seminare so moderieren, dass alle Teilnehmenden einbezogen werden. Regelmäßige Reflexionen darüber, wie Lernprozesse besser gestaltet werden können, sind essenziell.

6. Erfolgsgeschichten als Inspiration

Erfahrungen aus der Praxis zeigen, wie Inklusion gelingen kann. Darüber hinaus helfen Vorbilder und Erfolgsgeschichten dabei, bestehende Vorurteile abzubauen und Mut zu machen, neue Wege zu gehen. Menschen mit Beeinträchtigungen, die aktiv auf ihre Bedürfnisse hinweisen und Lösungen einfordern, tragen dazu bei, dass Barrieren abgebaut werden – nicht nur für sich selbst, sondern für alle.

Eine Vision für die Hochschule der Zukunft

Hochschulen müssen sich als Orte verstehen, die mehr als bloße Ausbildungsstätten sind. Bildung sollte darauf abzielen, eine Gesellschaft zu formen, in der Vielfalt als Stärke begriffen wird und alle Menschen in Frieden und Solidarität zusammenleben können.

Inklusion ist dabei keine einseitige Verpflichtung, sondern ein wechselseitiger Prozess. Es geht darum, Barrieren nicht nur abzubauen, sondern die Hochschulbildung so zu gestalten, dass sie von den Beiträgen aller Beteiligten lebt. Mit dieser Haltung können Hochschulen Vorreiter für eine gerechtere Gesellschaft sein.