Unbewusste Vorurteile – Ein Blick auf ein allgegenwärtiges Phänomen

Unbewusste Vorurteile, auch als "Unconscious Biases" bekannt, sind tief in unseren Denkprozessen verwurzelt. Sie beeinflussen unser Verhalten und unsere Entscheidungen – oft ohne unser Wissen. Doch wo genau wirken sie sich aus, und warum sollte jede*r immer wieder innehalten, um sich ihrer bewusst zu werden? Diesen Fragen gehen wir in diesem Artikel auf den Grund.

Explizite und implizite Vorurteile – ein essenzieller Unterschied

Jeder Mensch hat sowohl bewusste Einstellungen als auch unbewusste Vorurteile. Diese Unterscheidung ist entscheidend: Man kann fest davon überzeugt sein, dass alle Menschen die gleichen Chancen verdienen, und dennoch – ohne es zu wollen – durch das eigene Handeln Ungleichheit zementieren.

  • Explizite Einstellungen sind bewusste Überzeugungen, Meinungen oder Vorurteile. Wir können sie reflektieren, darüber sprechen und sie durch Bildung oder soziale Normen beeinflussen.

  • Implizite Vorurteile hingegen sind unbewusste Assoziationen, die unser Verhalten steuern, ohne dass wir es bemerken

 

Entstehung impliziter Vorurteile

Implizite Vorurteile entstehen durch individuelle Erfahrungen, kulturelle Prägungen und evolutionäre Mechanismen. Unser Gehirn kategorisiert automatisch in "Eigen-" und "Fremdgruppen" – ein uralter Schutzmechanismus, der in der modernen Gesellschaft jedoch oft zu Verzerrungen führt. Soziale Einflüsse, Medien und Erziehung verstärken diese Denkmuster, und kognitive Verzerrungen wie der Bestätigungsfehler sorgen dafür, dass wir bevorzugt Informationen wahrnehmen, die unseren bestehenden Annahmen entsprechen. Dies festigt Vorurteile – selbst wenn sie unseren bewussten Überzeugungen widersprechen.

 

Warum es wichtig ist, sich mit unbewussten Vorurteilen auseinanderzusetzen

Da unbewusste Vorurteile schwer zu fassen sind, sie aber bestehende Ungleichheiten weiter verstärken, ist es essenziell, sie immer wieder zu hinterfragen.
Ein Blick in die Forschung hilft uns dabei:

  • Mahzarin Banaji & Anthony Greenwald (1990er-Jahre) prägten den Begriff „unconscious Bias“. Die beiden Psychologen entwickelten den "Implicit Association Test" (IAT), der unbewusste Einstellungen misst. Die Methode zeigt, wie kulturelle Prägungen unser Verhalten beeinflussen.

  • Uhlmann & Cohen (2007) fanden heraus, dass Menschen, die sich als besonders objektiv wahrnehmen, eher unbewusst diskriminierende Entscheidungen treffen.

  • Handley et al. (2015) zeigten, dass subtile Geschlechtervorurteile die Bewertung wissenschaftlicher Arbeiten beeinflussen – selbst durch Wissenschaftler*innen.

  • Daniel Kahneman (2011) beschreibt, wie intuitive, automatische Denkprozesse kognitive Verzerrungen verstärken.

 

Strategien zur Reduktion unbewusster Vorurteile

Obwohl unbewusste Vorurteile tief verankert sind, entziehen sie sich nicht gänzlich unserem Einfluss. Mit gezieltem Training und Reflexion können wir sie verringern. Hier einige Ansätze:

1. Bewusstsein schaffen & Reflexion fördern

Tests wie der IAT helfen, eigene unbewusste Verzerrungen zu erkennen. Die Ergebnisse können Hinweise sein, in welchem Bereich man sich selbst aktiver hinterfragen kann und wo man selbst als erstes Veränderungen bei sich erzielen möchte.

2. Positive Gegenbeispiele & Perspektivwechsel nutzen

Kontakt mit positiven Beispielen, die den Stereotypen widersprechen, können helfen implizite Vorurteile abzubauen. Wer etwa bewusst erfolgreiche Frauen in Führungspositionen oder männliche Erzieher wahrnimmt, verändert langfristig die eigenen unbewussten Assoziationen. Vor allem dann, wenn die positive Erfahrung nicht als Ausnahme deklariert wird, sondern als gute Repräsentation. Das Lesen von Erfahrungsberichten benachteiligter Gruppen kann durch den Perspektivwechsel Empathie fördern und Vorurteile abzubauen. Hier empfiehlt sich die Leseliste von Teresa Reichl: Leseliste.

3. Bewusstes, langes Denken einsetzen

Da Vorurteile oft durch Automatismen zu tragen kommen, sollten Entscheidungen nicht vorschnell getroffen werden. Durch rationales Abwägen können unbewusste Verzerrungen reduziert werden. Das gelingt jedoch nur, wenn wir gängige Stereotype kennen und sie auf ihre Gültigkeit geprüft haben und wenn wir unsere Verzerrungsmuster aktiv im Entscheidungsprozess berücksichtigen.

4. Vielfältige soziale Kontakte fördern

Die "Kontakt-Hypothese" (Allport, 1954) besagt, dass Interaktionen mit Menschen aus unterschiedlichen Gruppen Stereotype abbauen.

5. Strukturierte Entscheidungsprozesse etablieren

Strukturierte Entscheidungsprozesse helfen, Verzerrungen zu minimieren. In der Personalrekrutierung etwa wirken sich anonymisierte Bewerbungsverfahren und klare Bewertungskriterien positiv aus.

Reflexionsfragen können helfen: Gibt es einen Bias, der dazu führt, dass ich die Argumente meines Gegenübers nicht so ernst nehme? Oder „Gibt es einen Bias, der beeinflusst, dass ich diesen Lebenslauf als weniger Aussagekräftig empfinde als den anderen?“

6. Langfristige Gewohnheiten aufbauen

Laut Forschung von Devine et al. (2012) erfordert der Abbau impliziter Vorurteile kontinuierliche Anstrengung. Menschen, die regelmäßig Strategien zur Vorurteilsreduktion anwenden, zeigen langfristig daher messbare Verbesserungen.

 

Fazit

Die meisten Menschen wollen niemanden benachteiligen – und genau deshalb ist es so wichtig, sich mit den eigenen unbewussten Vorurteilen auseinanderzusetzen. Durch Reflexion, den Kontakt mit vielfältigen Perspektiven und bewusste Entscheidungsprozesse können wir aktiv dazu beitragen, Stereotype abzubauen.

Sie möchten Ihre eigenen unbewussten Vorurteile hinterfragen?

 


 

Quellen:

Greenwald, A. G., & Banaji, M. R. (1995). Implicit social cognition: Attitudes, self-esteem, and stereotypes. Psychological Review, 102(1), 4–27. psycnet.apa.org/doiLanding

Uhlmann, E. L., & Cohen, G. L. (2007). "I think it, therefore it's true": Effects of self-perceived objectivity on hiring discrimination. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 104(2), 207–223. doi.org/10.1016/j.obhdp.2007.07.001

Handley, I. M., Brown, E. R.; Moss-Racusin, C. A. & Smith, J. L. (2015). Quality of evidence revealing subtle gender biases in science is in the eye of the beholderz. Psychological and Cognitive Sciences, 112(43), www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.1510649112

Kahneman, D. (2011). Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler, München 2012

Allport, G. W. (1954). The nature of prejudice. Addison-Wesley.

Devine, P. G; Forscher, P. S; Austin, A. J; & Cox. W. T.L (2012). Long-term reduction in implicit race bias: A prejudice habit-breaking intervention. Journal of Experimental Social Psychology, 48(6); 1267-1278. www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0022103112001369